Menschen mit Migrationshintergrund oder Auslandserfahrung verfügen über eine Extraportion Unternehmergeist. Das belegen nicht nur wissenschaftliche Studien, sondern auch der aufmerksame Blick auf den Werdegang von Einwanderern im Alltagsleben.
Die Wissenschaft liefert für das Phänomen zwei Erklärungsmodelle: Zum einen begünstige in vielen Ländern eine selektive Einwanderungspolitik jene Menschen, deren Fähigkeiten mit unternehmerischem Denken zusammenhängen. Dazu zählen zum Beispiel Menschen mit einem Universitätsabschluss, einer soliden Berufsausbildung oder mit bestehenden Arbeitsverträgen zum Zeitpunkt der Einreise.
Zum anderen geht die Wissenschaft davon aus, dass diejenigen, die sich zum Auswandern oder zur Flucht entschließen, per se über einen höheren Grad an Initiativkraft verfügen als andere Menschen. Sie besäßen damit eine Prädisposition für unternehmerisches Denken.
Die bisherigen wissenschaftlichen Studien konzentrierten sich allerdings nur auf die Fähigkeiten von Menschen, bestehende unternehmerische Gelegenheiten auszunutzen, wenn sie ihnen begegnen. Eine Studie aus dem Jahr 2016 belegt jetzt die Fähigkeiten dieser Personen, aktiv unternehmerische Gelegenheiten aufzuspüren beziehungsweise sie überhaupt erst zu schaffen.
Verfasst hat die Studie der wissenschaftliche Leiter des Innovationswettbewerbs TOP 100, Professor Nikolaus Franke vom Lehrstuhl für Entrepreneurship und Innovation der Wirtschaftsuniversität Wien, zusammen mit dem Social-Entrepreneur-Forscher Peter Vandor. Die Studie, die in Volume 31/Juli 2016 des weltweit renommierten „Journal of Business Venturing“ erschien, liefert interessante Aufschlüsse.
„Kulturschock“ zündet Wachstumsturbo
Die Grundthese von Franke lautet, dass interkulturelle Erfahrungen an sich eine Eigenheit sind, die unternehmerisches Denken fördern: „Interkulturelle Erfahrungen erhöhen die Fähigkeiten, profitable unternehmerische Gelegenheiten zu erkennen.“ Zurückzuführen sei das auf „interkulturelles Wissen über Kundenwünsche und Märkte sowie die Möglichkeiten, diese zu bedienen“. Franke bezieht sich dabei sowohl auf langfristig in anderen Ländern lebende Migranten als auch auf Personen mit kurzfristigen Auslandsaufenthalten, wie beispielsweise Studenten mit Auslandssemestern.
Das, was der finnisch-amerikanische Anthropologe Kalervo Oberg 1960 als „Kulturschock“ bezeichnete, führt laut Franke im positiven Sinne zu einer Erweiterung des Wissens: „Menschen begegnen in unvermeidbarer Weise bislang unbekannten Produkten, Dienstleistungen und Kundenwünschen eines anderen Kulturkreises und beginnen, sie mit vertrauten Produkten und Dienstleistungen aus der Heimat zu vergleichen.“
Als Erklärung dafür, dass dieser Vergleich in besonderem Maße unternehmerisches Denken fördert, beruft sich Franke auf zwei seit langem diskutierte wissenschaftliche Thesen, die er anschließend experimentell untersucht.
Arbitrage- und Kombinationsgabe gefragt
Als erster Erklärungsansatz dient das „Arbitrage-Modell“ des amerikanischen Wissenschaftlers Israel Kirzner: Laut ihm schließen interkulturelle Erfahrungen Informationsdefizite. Personen ausländischer Herkunft oder mit Auslandsaufenthalten erwerben dank ihrer Erfahrung in unterschiedlichen Ländern einen Wissensvorsprung mit Blick auf Produkte, Dienstleistungen, Märkte und Kundenwünsche. Diesen Vorsprung nutzen sie zu ihrem Vorteil. Man spricht in diesem Zusammenhang von dem „Entdeckungsansatz“. Menschen erhalten einen neuen Zugang zu bestehenden Informationen.
Als Beispiel nennt Franke Starbucks: Dessen Gründer Howard Schultz war bei einem Besuch in Mailand von den italienischen Kaffeebars so begeistert, dass er die Idee in die Vereinigten Staaten exportierte.
Der zweite Erklärungsansatz bezieht sich auf das sogenannte „kreative Kombinieren“ nach Joseph Schumpeter. Laut dem berühmten Ökonomen geht es bei der Wahrnehmung unternehmerischer Gelegenheiten vor allem um das Generieren bzw. Aufspüren neuer Informationen, aus denen die Betreffenden im Rahmen eines kreativen Akts eine Innovation entwickeln. Diese Herangehensweise wird als „Entstehungsansatz“ bezeichnet.
Eine Zeitung und ein Supermarkt als Fallbeispiele
Soweit die Theorie. Um seine These von der produktiven Wirkung interkultureller Erfahrungen zu überprüfen, führte Franke an der Wirtschaftsuniversität Wien zwei empirische Studien durch: mit österreichischen Studenten, die eine Zeit im Ausland verbracht hatten, und mit einer Gruppe ausländischer Studenten. Beiden Gruppen wurden jeweils Kontrollgruppen zugeordnet, um die Validität der Ergebnisse zu prüfen und statistische Zufälligkeiten auszuschließen.