Nikolaus Franke
Award
TOP 100

TIME Best Paper Award für Nikolaus Franke

6. Februar 2020
5 Min.
Von Sven Kamerar

Große Ehre für den wissenschaftlichen Leiter von TOP 100: Prof. Dr. Nikolaus Franke ist für eine der meistzitierten und einflussreichsten Veröffentlichungen seines Forschungszweigs ausgezeichnet worden. Er hatte herausgefunden, was Dachdecker von Inline-Skatern und Chirurgen von Formel-1-Teams lernen können.

Hinter zwei leitenden Ärzten des „Great Ormond Street“-Kinderkrankenhauses in London liegt ein „besonders unerfreulicher Arbeitstag“, als sie erschöpft in ihre Fernsehsessel sinken. Es läuft, berichtet später die Tageszeitung The Telegraph, ein Formel-1-Grand-Prix . Was beide Mediziner nicht ahnen: Am Ende der Übertragung wird ihnen eine bahnbrechende Idee zur Verbesserung der Intensivpflege gekommen sein.

Genauer gesagt, ist es der Anblick eines perfekten Reifenwechsels, der sie auf einen Gedanken bringt: Ließe sich von der Ferrari-Truppe, die damals die Benchmark für Boxenstopps bildete, nicht etwas lernen für den äußerst kritischen Transfer eines Patienten vom Operationstisch in das Bett auf der Intensivstation? Schließlich muss bei der Neuverkabelung mit unzähligen Schläuchen und Sensoren in einer extrem kurzen Zeitspanne jeder Handgriff sitzen.

Es kommt zum Kontakt mit dem italienischen Traditionsrennstall. Und nachdem die führenden Ferrari-Ingenieure das Prozedere im Krankenhaus analysiert und das Ergebnis präsentiert haben, sind die Ärzte „geschockt über das Fehlen von Struktur in unseren Abläufen“ (Zitat aus The Telegraph).

Boxenstopp
© corepics
Jeder Handgriff muss sitzen. An Ferrari nahmen sich Chirurgen ein Beispiel.

Seitdem die Formel-1-Techniker dann die Übergabeprozedur vom OP in die Intensivpflege optimiert hätten, verlaufe diese nun ohne Krach, Hektik und ohne „dass Leute sich gegenseitig im Weg“ ständen, berichtet einer der Ärzte später in der Presse. Damit sei das Risiko von gravierenden Zwischenfällen minimiert.

Bisherige Erkenntnisse auf den Kopf gestellt

Die Zusammenarbeit zwischen dem Formel-1-Team und dem Chirurgen-Team ist ein Paradebeispiel für den sogenannten „Analogous Market“- Effekt, wenn es um die Hinzuziehung externer Akteure durch ein Unternehmen geht. Dieser von den Professoren Nikolaus Franke, Martin Schreier und Marion K. Poetz erstmals wissenschaftlich nachgewiesene Effekt stellt die bisherigen Erkenntnisse des Innovationsansatzes „Open Innovation“ auf den Kopf.

Denn üblicherweise ging man bisher davon aus, dass im Rahmen eines „Open Innovation“-Ansatzes besonders die Kooperation mit Wissenschaftlern, Lieferanten oder Kunden aus dem eigenen (!) Kernmarkt beziehungsweise der eigenen Zielgruppe wichtig sei. Die Wissenschaftler belegen jedoch in einer umfangreichen Studie, dass die Ideenfindung weitaus erfolgreicher verläuft, wenn Personen aus „analogen Märkten“ hinzugezogen werden – also aus Branchen, die in ihrer Ausrichtung und ihrem Geschäftsmodell vollkommen unterschiedlich sind, die aber ein vergleichbares Grundproblem zu lösen haben, also diesbezüglich eine Analogie aufweisen.

Im Falle der Chirurgen und des Ferrari-Teams war es die Herausforderung, eine reibungslose Kette von Handgriffen in sehr kurzer Zeit zu organisieren, wobei jeder Fehlgriff dramatische Konsequenzen haben konnte.

Dachdecker, Schreiner und Inline-Skater helfen sich

Für ihr Experiment zur Untersuchung der Relevanz des „Analogous Market“-Effekts wählten die Autoren jeweils 71 Schreiner, Dachdecker und Inline-Skater aus. So unterschiedlich diese drei Personengruppen sind, teilen sie doch ein Grundbedürfnis: Sicherheit – sei es durch Gurte (Dachdecker), Atemschutzmasken (Schreiner) oder Knie- und Ellenbogenschützer (Inline-Skater).

Jeder der insgesamt 213 Teilnehmer musste jeweils einen Vorschlag unterbreiten, wie der Tragekomfort der Schutzausrüstung in der eigenen und in den anderen beiden Branchen erhöht werden könnte, und damit auch deren „Trage-Akzeptanz“. Nicht selten lassen nämlich die Zielgruppen die Schutzausrüstung liegen, weil sie entweder zwickt oder schweißtreibend wirkt.

Dachdecker
© Getty05
Inline-Skater lieferten Ideen für größeren Tragekomfort beim Sicherheitsgeschirr für Dachdecker.

Bei der sehr aufwendigen Auswertung stellten Franke und seine Kollegen fest: Der Innovationsgrad der vorgeschlagenen Lösungen war immer dann besonders groß, wenn er von Teilnehmern der jeweils anderen Branchen stammte. Dieser Effekt verstärkte sich noch mit zunehmender Ferne der Sektoren, also zwischen Inline-Skatern auf der einen Seite und den Handwerks-Probanden (Schreiner und Dachdecker) auf der anderen Seite. Lagen die Sektoren hingegen etwas näher, also bei Schreinern und Dachdeckern, war der Effekt etwas schwächer ausgeprägt.

Eine Erklärung für diese Beobachtung könnte laut der Studie darin liegen, dass die Ideengeber Lösungen aus dem eigenen, gänzlich anderen Gebiet in die neuen Bereiche transferieren und so für frische Impulse sorgen. Auch seien sie offener im Denken als brancheneigene Experten, die oft innerhalb eines tradierten Denk- und Suchmusters („functional fixedness“) nach Lösungen suchten.

Innovativ, aber nutzlos?

Einen Wermutstropfen entdeckten die Forscher allerdings im Topf der Erkenntnis: So hoch der Neuigkeitswert der Vorschläge von Ideengebern aus „analogen Märkten“ war, so vergleichsweise geringer war deren unmittelbare Umsetzungsfähigkeit gegenüber den von Branchen-Angehörigen vorgeschlagenen Lösungen. Die Autoren führen diesen Umstand darauf zurück, dass Externe natürlicherweise in geringerem Maße mit den Details und Mechanismen der branchenspezifischen Probleme vertraut sind.

Trotzdem empfehle sich für Unternehmen, resümieren die Wissenschaftler, die Positionierung ihres Open-Innovation-Ansatzes in Richtung „analoger“ Märkte. Denn die Nützlichkeit eines Vorschlags hänge letztlich davon ab, ob ein Unternehmen eine radikal neue Lösung suche oder nur eine inkrementelle Verbesserung. Die entscheidende Hürde sei oftmals in beiden Fällen ein Mangel an Ideen. Die weiteren Schritte und damit eine Gewichtung des Faktors „Nützlichkeit“ ergäben sich im folgenden Prozess, je nachdem, ob ein Unternehmen eine kleine Marktnische mit einer grundlegenden Innovation oder einen etablierten Markt mit inkrementellen Verbesserungen ansprechen wolle. Von Vorteil sei in beiden Szenarien, von Beginn an aus einem möglichst großen Strauß ungewöhnlicher Vorschläge auswählen zu können.

Ehre, wem Ehre gebührt

Die Lektüre der 18-seitigen, bereits 2014 im renommierten Wissenschaftsjournal „Management Science“ erschienenen Studie dürfte Innovationsmanagern viele Denk- und Handlungsanstöße geben. Wie bedeutend die Erkenntnisse der drei Autoren sind, zeigt die Ende 2019 erfolgte Auszeichnung mit dem TIME Best Paper Award der Wissenschaftsvereinigung INFORMS . Die weltweit führende Organisation in der Unternehmens- und Managementforschung publiziert einige der renommiertesten Wissenschaftsjournale. Und sie vergibt jedes Jahr einen Preis an die Autoren jener Studie, die zu den meistzitierten eines Jahrgangs gehört und nach Meinung der Jury den größten Einfluss auf die weitere Forschung hatte.

In die Bewertung fließen also sowohl die Aktualität und Relevanz eines Themas ein als auch die methodische Qualität und Eleganz des Forschungsansatzes.

Im Namen des gesamten TOP 100-Teams gratuliere ich Franke und seinen Mitstreitern zu der Publikation in einem der weltweit führenden Journale, was für sich schon eine große Ehre für Forscher aus dem deutschsprachigen Raum ist, und vor allem zu der Auszeichnung!

Urkunde
© privat
International bedeutende Auszeichnung: der TIME Best Paper Award von INFORMS.