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Allgemein

Wenn die Firma zum Mitarbeiter kommt

4. August 2021
4 Min.
Von Christoph Klawitter

Corona schüttelt auch die Arbeitswelt gründlich durch: Co-Working-Spaces könnten nach der Pandemie noch stärker gefragt sein. Denn sie verbinden den Wunsch nach mobilem Arbeiten und sozialem Austausch. Die beiden TOP 100-Unternehmen itemis und Chairholder beschäftigen sich intensiv damit.

Viele Monate haben Beschäftigte nun schon aufgrund von Corona ihre Arbeit im Homeoffice erledigt. Das wirkt nach, wie der Vorstandsvorsitzende von itemis , Jens Wagener, am Arbeitsmarkt beobachtet: Die IT-Talente wollen gar nicht mehr ihren Wohnort wechseln, wenn sie nach einer neuen Arbeitsstelle suchen. Die Schlussfolgerung von Wagener: „Ok, das ist kein Problem. Dann eröffnen wir hier ein Office für euch.“ Und mit Humor zitiert er ein bekanntes Sprichwort: „Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, dann kommt eben der Berg zu ihm.“

Sein IT-Unternehmen eröffnet Büros, die gleichzeitig als Co-Working-Spaces dienen – und zwar dort, wo die neuen Mitarbeiter wohnen, europaweit: In Graz, Bologna, Budapest und im griechischen Ioannina habe das Unternehmen solche Büros eröffnet beziehungsweise stehe unmittelbar vor der Eröffnung.

Ein Büro ist nicht nur eine Stätte fürs gemeinsame Arbeiten, sondern dient auch dem sozialen Austausch: Manch tolle Idee entsteht beim Gespräch mit Kollegen in der Kaffeeküche oder bei der gemeinsamen Mahlzeit in der Betriebskantine. „Das Homeoffice ist ganz gut, um konzentriert zu arbeiten. Was aber vollkommen fehlt, ist die soziale Interaktion“, resümiert Wagener. In den Offices können sich die itemis-Mitarbeiter treffen – oder sie können auch mit Mitarbeitern in anderen Unternehmen in Kontakt treten: Die Offices dienen nicht nur als Co-Working-Space für itemis-Mitarbeiter, sondern sind auch für Beschäftigte anderer Unternehmen offen.

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Jens Wagener geht beim Recruiting neue Wege.

Internationales Recruiting bereits erfolgreich

Gezielt sucht itemis derzeit neue Mitarbeiter mit Know-how bei der Entwicklung sogenannter domänenspezifischer Sprachen. Hier geht es darum, die Anforderungen einer „Domäne“, beispielsweise die Arbeitsweise von Sensoren in Airbags, genau zu verstehen. Anschließend wird dann eine speziell auf diese Anforderungen zugeschnittene Sprache entwickelt. „Das ist High-End-Informatik“, erläutert Jens Wagener. „Das Personal, das wir für diese Tätigkeiten benötigen, wir nennen sie Language Engineers, ist rar gesät.“ In Deutschland habe man keine Möglichkeit gesehen, den Bedarf von etwa zehn Personen bis Februar nächsten Jahres zu decken. „Unser internationales Recruiting war dagegen schon erfolgreich. Wir konnten in Bologna und Graz bereits insgesamt drei Personen einstellen.“ Auch in der ungarischen Hauptstadt Budapest sei itemis in einem Business-Center nun präsent, demnächst starte man zudem in Ioannina in Griechenland.

Auch außerhalb des Language Engineerings ist sich der Innovator des Jahres 2019 (Größenklasse 51 bis 200 Mitarbeiter) sicher, mit dem neuen Recruiting-Ansatz Personal zu gewinnen. „Insgesamt wollen wir bis Februar 2022 noch 50 weitere Mitarbeiter in der Produktion einstellen“, sagt Wagener. Angedacht ist außerdem, das neue Konzept bald auch in den Benelux-Ländern und Dänemark umzusetzen.

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So sieht ein Co-Working-Space aus: Bei Chairholder kann man sich über die Gestaltung der modernen Arbeitswelt informieren.

Rolf Gerlach ist ein Experte für Co-Working-Spaces. Sein Unternehmen Chairholder hat sich auf Büro- und Objekteinrichtungen spezialisiert. „Den Boom gab’s ja schon“, erinnert er sich. Relativ neu sei aber, dass Co-Working-Spaces nun zunehmend im ländlichen Raum eingerichtet würden. Bisher waren Co-Working-Spaces demnach hauptsächlich in Großstädten beheimatet. „Aber da passiert jetzt eine Veränderung“, bekräftigt der geschäftsführende Gesellschafter des Top-Innovators. Ein zweiter aktueller Trend: Nicht nur abseits vom Firmenstandort, sondern im Firmengebäude selbst würden vermehrt Co-Working-Spaces etabliert, um eine andere Kultur, eine andere Art des Arbeitens innerhalb des Unternehmens zu fördern.

Co-Working-Spaces sollen ein Treffpunkt sein, ein Ort der Begegnung, ein Ort, an dem Kreativität befördert wird – kurzum eine Atmosphäre, die den Horizont erweitern kann. In der neuen Arbeitswelt nach Corona soll ein Büro mehr sein als nur eine reine Arbeitsstätte. „Welchen Anreiz habe ich denn, ins Büro zu gehen?“, bringt Gerlach es auf den Punkt.

Der Begriff Co-Working-Space ist laut dem Experten nicht einheitlich definiert. Verstanden werden darunter sowohl entsprechende Räumlichkeiten für Mitarbeiter eines einzigen Unternehmens wie auch Räume, in denen Beschäftigte unterschiedlicher Unternehmen arbeiten. Letzteres kommt der ursprünglichen Idee am nächsten: „Idealerweise sitzen dort jeden Tag andere Menschen. Lebenslanges Lernen wird da ganz anders befördert“, bemerkt Gerlach.

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Rolf Gerlach betont: Vertrauen ist bei Co-Working-Spaces und Homeoffice unabdingbar.

Sensoren messen Luftqualität und Lautstärke

In seiner Firma hat Gerlach zusammen mit externen Partnern eine „Ideenwerkstatt“ gegründet, in der Kunden Probe arbeiten können und sich ein Bild davon machen können, wie Co-Working-Spaces räumlich gestaltet sind. Klar ist nämlich: Ein Co-Working-Space muss anders aufgebaut sein als ein klassischer Büroraum. Mit allerlei technischen Hilfsmitteln können Betreiber von Co-Working-Spaces ihre Räume ausstatten: Gerlach berichtet beispielsweise von im Mobiliar und im Raum angebrachten Sensoren, die Luftqualität, Temperatur und Lautstärke messen können.

Chairholder hat zusammen mit einem Partner das Softwareunternehmen Improdo gegründet, das Kunden bei der Einrichtung solcher Co-Working-Spaces unterstützt. Schließlich kann mithilfe entsprechender Software beispielsweise erfasst werden, welche Arbeitsplätze in einem Co-Working-Space oder Büro gerade belegt sind und welche noch frei sind.
Ganz gleich, ob Homeoffice, Wechsel von Homeoffice- und Präsenzphasen im Büro oder als drittes Element Co-Working-Spaces, in denen sich Mitarbeiter beziehungsweise Unternehmen ihre Mitarbeiter einmieten: „Das Ganze geht nur, wenn Vertrauen besteht“, betont Rolf Gerlach. Wenn Führungskräfte vom „Prüfen, Überwachen und Kontrollieren“ nicht abrücken wollten, würden solche Konzepte keinen Erfolg haben.